6. März 2014, Informationsdienst KUNST (548)
Vorlass statt Nachlass
Immer mehr Künstler übergeben Archiven ihre Werke und Dokumente zu Lebzeiten
Ein »Leckerli« geht auf Reisen: Das so betitelte Werk von Reiner Ruthenbeck, eine ironische Hommage an das Betthupferl auf den Kopfkissen der Hotels, wurde jüngst in Brauweiler angefordert. Das 45 mal 45 Zentimeter große, 8 Zentimeter dicke und schokoladenbraun eingefärbte Holzquadrat von 1993 soll im Rahmen der Baden-Badener Ausstellung »Room Service« (22.3. bis 22.6.) gezeigt werden. In Brauweiler (Rhein-Erft-Kreis) hat die »Stiftung Kunstfonds Archiv für Künstlernachlässe« ihren Sitz. »Zu unseren Aufgaben gehören Pflege und Lagerhaltung der uns anvertrauten Werke, aber auch die Verpflichtung, sie der Forschung zugänglich und sie weiterhin öffentlich zu machen«, erläutert die Kunsthistorikerin Pia Gamon. »Insofern agieren wir auch als Pool für Leihanfragen und kümmern uns beispielsweise vor Ort um Besonderheiten, die bei einer Installation zu berücksichtigen sind.« Freilich weilt Reiner Ruthenbeck noch unter den Lebenden. Aber er hat sich bereits 2012 zu einem »Vorlass« entschlossen — eine Initiative, die immer mehr Nachahmer findet, auch unter Prominenten. Zuletzt klopfte Jochen Gerz in Brauweiler an. Seine Motivation: Nachdem die öffentliche Hand ihn lange gefördert habe, wolle er etwas zurückgeben. Wie seine Künstler-Kollegen ist er natürlich auch daran interessiert, dass sein Œuvre der nachfolgenden Generation vermittelt wird. So ist Pia Gamon denn auch nach Irland (wohin Gerz von Paris aus zog) gefahren, um über Gerz' konzeptuellen Ansatz und restauratorische Aspekte zu sprechen: »Es ist für uns enorm hilfreich, wenn die Informationen vom Künstler selbst kommen«.
Während Brauweiler nach eigener Auskunft »keine Akquise« betreibt, bemüht sich Daniel Schütz vom Rheinischen Archiv für Künstlernachlässe (RAK) in Bonn aktiv um Vorlässe. Er führt sogar »eine Liste von Personen, die für die Kunstgeschichte, für Forschung und Wissenschaft interessant sind«. Die Reaktionen seien durchaus positiv und verständnisvoll, berichtet er. Allerdings sammelt das RAK keine Kunstwerke, sondern biografisch-dokumentarisches Material wie Briefe, Tage- und Rechnungsbücher oder auch Fotografien. »Der Vorlass hat den großen Vorteil, dass bei Unklarheiten der Vorlassgeber selbst angesprochen werden kann. Regelmäßig ergeben sich Fragen beispielsweise bei der Identifizierung von Korrespondenzpartnern, weil Unterschriften und Absenderadressen unleserlich oder unbekannt sind. Bei Fotografien, die häufig unbeschriftet sind, können Hinweise auf die abgebildeten Personen oder auf Datierung eingeholt werden.« Als ersten Vorlass eines Fotografen hat Arno Jansen aus Köln mit der Abgabe an das RAK begonnen. Weitere Vorlässe stammen von Maren Heyne, Elisabeth Marx, Enric Rabasseda, Helmut Sundhaußen und Friedrich Werthmann. »Sie werden«, verspricht Daniel Schütz, »nach und nach alle akribisch aufgearbeitet.«
Größtes Problem der Archive ist es, genügend Raum zu schaffen. In Brauweiler könne man »mit den jetzt 2000 Quadratmetern noch etwa eineinhalb Jahre gut leben«, so Pia Gamon, die gleichwohl versucht, »die vielen Anfragen platzgerecht zu verteilen«. Das rak indessen kann pro Jahr maximal einen Fotografennach- oder -vorlass aufnehmen. Beim in Düsseldorf ansässigen Archiv künstlerischer Fotografie der rheinischen Kunstszene (Afork) hingegen hat man sich genau auf diesen Bereich spezialisiert. Das 2003 gegründete Archiv ist der Stiftung Museum Kunstpalast angegliedert und verfolgt das Ziel, das international bedeutende Kunstgeschehen im Rheinland seit 1945 zu dokumentieren. Vorlässe sind hier noch die Ausnahme, wie Anne Rodler berichtet, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin die vorhandenen Schätze hütet. Erworben hat man. — mit Hilfe der Kunststiftung NRW — bislang lediglich einen einzigen Vorlass: das gesamte Lebenswerk von Nic Tenwiggenhorn, das 15 000 Farbektachrome, 2000 schwarzweiße Großbildnegative und 70 000 schwarzweiße Kleinbildnegative umfasst. »Seit den 1960er Jahren nahm dieser herausragende Fotograf der rheinischen Kunstszene Künstlerpersönlichkeiten sowie deren Werke, Atelier- und Ausstellungssituationen auf«, so Anne Rodler. »Darunter sind Katharina Fritsch, Martin Kippenberger, Imi Knoebel, Reiner Ruthenbeck, Thomas Schütte, Günther Uecker.« Darüber hinaus kaufte das Afork von Beginn an regelmäßig Serien von Fotografen wie Benjamin Katz, Manfred Leve und Erika Kiffl. Für sie alle fungieren solche Archive letztlich als Retter vor dem Verschwinden ihrer Vermächtnisse. Es wäre daher nicht verwunderlich, wenn die Zahl der Vorlässe in absehbarer Zeit deutlich zunähme.
les