Rheinisches Archiv für Künstlernachlässe

24. Mai 2022, Bonner General-Anzeiger

Spurensuche im Rheinland

Das Bonner Archiv für Künstlernachlässe erwirbt Dietmar Schneiders spektakulären Foto- und Dokumentenschatz

VON THOMAS KLIEMANN
Für den „Express“ war er der „Kölner Kunst-Papst“, die „Kölnische Rundschau“ lobte ihn als „Kümmerer für die Kunstszene“, andere Medien meinten, er habe ein „Passepartout für alle Türen“ und registrierten sowohl seine enge Beziehung zu Künstlerstars wie Joseph Beuys wie seine Initiativen, Gerhard Richter, Sigmar Polke, Günther Uecker und andere in deren Anfängen zu fördern: Im Entree des Rheinischen Archivs für Künstlernachlässe in Bonn-Tannenbusch hängt ein Potpourri aus Zeitungsartikeln über Dietmar Schneider. „Nur eine kleine Auswahl“, räumt Archiv- Chef Daniel Schütz ein.

Der Rest der publizistischen Beweihräucherung lagert in Kisten im Archiv-Depot. Zusammen mit weiteren Archivalien über und von dem legendären Kunstbeweger und Kunstchronisten Schneider, heute 83 Jahre alt. Mehr als ein halbes Jahrhundert war er im Rheinland unterwegs, rund tausend Veranstaltungen hat er mit dem Fotoapparat dokumentiert – bis vor wenigen Jahren (Schneider: „da hieß es Schluss und vorbei“) analog und in Schwarz-Weiß: Vernissagen, Kunstmärkte, Performances, Vorträge, anwesende Künstler und deren Entourage, Museumsleute, Sammler hat er verewigt. „Beuys und Polke habe ich besonders oft fotografiert“, erzählt er, „fast alle wollten sich fotografieren lassen“.

Beuys bei Schneider, Foto
Ohne Hut: Joseph Beuys in der Wohnung von Dietmar Schneider, Köln 1973. FOTO: DIETMAR SCHNEIDER © RAK

Schneiders Frau schrieb alle Namen, Anlass und Datum auf gelbe Karteikarten. Sozusagen der Schlüssel zu einem unglaublichen Archiv, das aus 90000 Negativen, 30000 Abzügen und unzähligen Künstlerdossiers besteht, die den Zugang zu 1300 Protagonisten der rheinischen Kunstszene ermöglichen. Eine umfangreiche Korrespondenz sowie sämtliche Exemplare der zwischen 1973 und 2009 von Schneider herausgegebenen Kölner Magazine „Kölner Skizzen“ und „Kunst Köln – Kölner Skizzen“ komplettieren das Archiv.

Bis unter die Decke der Schneiderschen Altbauwohnung im Kölner Agnesviertel stapelten sich bis Herbst dieses Jahres die Archivalien, ein unfassbar wertvoller Wissensfundus. Dann rückte Schütz mit seinen Leuten an. Sie legten die Mappen und Pappkisten auf Holzpaletten, wickelten das Ganze in schwarze Folie, steckten die Schätze in die Kältekammer, um potenziellen Schädlingen den Garaus zu machen. Jetzt lagert der Schatz auf 300 Quadratmetern in einem Tannenbuscher Archivkeller, wo früher die AWO ihre Akten lagerte, und wird nach und nach gehoben. Schütz hat zwei Mitarbeiterinnen angestellt, die sich exklusiv um Schneiders Lebenswerk kümmern, wozu auch die schrittweise Digitalisierung gehört.

Für Schütz ist das Schneider- Archiv eine Goldgrube und eine perfekte Ergänzung zu den rund 140 Künstlernachlässen, die er in den 15 Jahren, die es das RAK gibt, erworben hat. „Nachlassakquise ist beinhart“, sagt er. Rund fünf Jahre hat er gebaggert, um sich das Archiv des Kölners zu sichern. Hellhörig war Schütz geworden, als das Getty-Center in Los Angeles auf das umfangreiche Künstlerarchiv aufmerksam wurde und bei Schneider anklopfte. Schütz sicherte sich die finanzielle Unterstützung durch das Land NRW und die Kulturstiftung der Länder, trieb die 195000 Euro auf, um Schneiders Archiv zu erwerben zu können.

Atelierfoto Marx
Die Trennung von den Fotos ist ihm schwergefallen:
Dietmar Schneider in seiner Ausstellung in der Kölner Artothek. FOTO: THOMAS BANNEYER

Die Getty-Leute hatten mehr geboten, erzählt Schneider, aber sie hätten das Archiv in mehrere Teile zerrissen. Das wollte er nicht. Gab es denn keine Kölner Interessenten? Schneider: „Wie kann man das dezent ausdrücken? Vonseiten der damaligen Kulturdezernentin kam überhaupt keine Reaktion, aber Daniel Schütz war interessiert.“

Von den Fotos hat er sich besonders schwer getrennt: „Ich habe spät und als völliger Amateur angefangen“, erinnert er sich, „Mitte der 1960er Jahre war das, damit sind viele Erinnerungen verbunden“.

Das Material wirft nicht nur Schlaglichter auf den Chronisten und Netzwerker, es zeigt auch, wie sich Schneider für die Szene engagierte, indem er mehr als hundert Ausstellungen organisierte, unter anderem in der Kölner Hohen Straße , den von „4711“ gesponsorten „Kunstpreis Glockengasse“ und den Toyota-Preis für junge Fotografen.

Momentan sichtet er in Köln seine Familienfotos. Die sollen nach seinem Tod auch ins RAK kommen. Ob er seine Memoiren schreiben will? Immerhin kennt er die rheinische Kunstszene wie kaum ein anderer. Man sei auf ihn zugekommen, aber konkret sei nichts in Planung. „So viel Zeit ist nicht“, warnt er.

Bis 1. Juli Ausstellung zum Schneider-Archiv
Das Rheinische Archiv für Künstlernachlässe (RAK) wurde 2007 gegründet und sammelt dokumentarische Vor- und Nachlässe von bildenden Künstlern, Fotografen, Architekten, Kunsthistorikern und Sammlern. Das RAK zeigt bis 1. Juli in seinen Räumen in der Oppelner Straße 130, Bonn, eine feine Ausstellung über die Erwerbung. Mo-Fr, 9-16 Uhr nach Voranmeldung (Claudia.Graf@bonn.de Tel: 0228-7760164) zugänglich. www.rak-bonn.de.
t.k.

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