25. Februar 2009, WAZ Kultur, Thomas Dressel
Der Nachlass-Erhalter
Bonn. Im Rheinischen Archiv für Künstlernachlässe bewahrt Daniel Schütz alles auf, was am Ende eines Künstlerlebens übrig bleibt – alles, außer Kunst. Der Einzugsbereich seiner Einrichtung reicht bis nach Belgien.

(Foto: WAZ Matthias Graben)
Glamourös ist der Arbeitsplatz von Daniel Schütz nicht. In dem Eckzimmer des Bonner Stadthauses stapeln sich auf mehreren Tischen mausgraue Dokumentenmappen zwischen Türmen aus braunen Archivkartons und schweren Nachschlagewerken. In der Luft hängt eine Mischung aus Staub, altem Leder und zerfallendem Papier. Patinageruch. Für Schütz freilich ist der Raum im Behördenplattenbau eine Schatzkammer: Der 41-Jährige leitet das Rheinische Archiv für Künstlernachlässe (RAK) – das kulturelle Gedächtnis einer ganzen Region.
Daniel Schütz kümmert sich um das, was am Ende eines Künstlerlebens bleibt, wofür sich aber niemand so recht interessiert, der Nachlass, sprich: alles, außer Kunst. In der Unterabteilung des Bonner Stadtarchivs bewahrt er neben Skizzenheften und Fotografien auch Notizen, Tagebücher, und Korrespondenzen auf. „Manchmal hängen da ganze Lebensschicksale dran. Die zu rekonstruieren, ist hochspannend”, sagt Schütz.
„Das Bewusstsein für Künstlernachlässe ist nicht sehr ausgeprägt”
Der Beginn seiner Forschungsarbeit war gleichsam ein Schock. „Ich wollte meine Magisterarbeit über den Bonner Künstler Walther Rath schreiben”, so der Kunsthistoriker, der seit seiner Studentenzeit Mitarbeiter des Stadtarchivs ist. „Es gab jedoch nur noch seine Bilder, der gesamte Nachlass war entsorgt worden.” Schütz machte aus der Not eine Tugend – und rekonstruierte in akribischer Archivarbeit Raths gesamte Biografie. Ein Jahr lang. „Dabei kam mir der Gedanke, dass es ein Archiv für Künstlernachlässe geben müsste.”
Mit dem organisierten Sammeln begann der Archivar vor drei Jahren. Jedes einzelne Stück hat er von Hinterbliebenen abgeholt, gesichtet und dokumentiert. 25 Nachlässe sind mittlerweile in Bonn eingelagert. „Wie viele Exponate wir hier haben, weiß ich nicht. Das geht schnell in die Hunderttausende.” Aus Zahlen macht sich Schütz ohnehin nicht viel. Was ihn interessiert, sind die Geschichten hinter der Geschichte, das private Umfeld eines Verstorbenen, die Menschen hinter der schillernden Künstlerfassade.
Wie zum Beweis greift der RAK-Leiter zu einem schweren Buch mit buntem Einband, das inmitten der Archiv-Haufen liegt. „Schauen sie mal, zum Beispiel das hier.” Es ist das Skizzenbuch von Karl Marx. Der war zwar Maler und kein kommunistischer Vordenker, seine gesammelten Hinterlassenschaften sind dennoch spektakulär – wenngleich nicht unter wissenschaftlichen Aspekten. In der Kladde sammelte Marx Fotos und Magazinausschnitte, die offenbar seine Inspiration beflügelten. Darunter: Schlachthof-Fotos mit dampfenden Schweinehälften und Pornografie der härteren Sorte.
Neben derlei Kuriositäten bieten die im RAK aufbewahrten Nachlässe freilich ein enormes wissenschaftliches Potenzial. „Das Bewusstsein, dass Künstlernachlässe ein hohes Gut sind, ist noch nicht sehr ausgeprägt. Wir hoffen, dass sich durch die Arbeit von Herrn Schütz daran etwas ändert”, sagt Gertrude Cepl-Kaufmann, Germanistik-Professorin an der Universität Düsseldorf und Mitglied des RAK-Kuratoriums. Bereits heute seien die Recherche-Möglichkeiten für Wissenschaftler und Studenten in dem von einer Stiftung und privaten Spenden getragenen Archiv ideal. Im Mai wird es eine RAK-Ausstellung inklusive Kolloquium der Universitäten Bonn und Düsseldorf geben, sagt Cepl-Kaufmann.
Regionaler Fokus
Im Gegensatz zu anderen Einrichtungen, die bundesweit nach Künstlernachlässen suchen, will Schütz den Aktionsradius seines Archivs auch künftig auf die Kulturregion Rheinland begrenzen. „Dazu gehört neben den rheinischen Städten in Teilen auch das Ruhrgebiet, die Moselregion, Belgien und die Niederlande.”
In diesem erweiterten Einzugsbereich hofft Schütz denn auch, Teile für sein jüngstes Forschungsprojekt zu finden: Den Nachlasserhalt der Künstlergruppe „Das Junge Rheinland”, ein in den 1920er Jahren aktives Kollektiv, dem unter anderem die Düsseldorfer Maler Karl Schwesig und Adolf Uzarski angehörten. „Es ist gut möglich, dass sich im Ruhrgebiet Stücke dieser Gruppe befinden”, sagt Daniel Schütz. In seiner Heimatstadt dürfte es ihm gleichwohl ebenfalls nicht langweilig werden. „Allein in Bonn gibt es etwa 100 Künstler, die noch nicht recherchiert sind.”
Platz hätte er im Stadthaus genug.

Jahr 1954 an die Witwe des kurz
zuvor verstorbenen Künstlers
Heinrich Kamps.
Das Land baut ein Nachlass-Magazin
Im Ruhrgebiet werden Künstlernachlässe an größere Einrichtungen weitervermittelt – zumindest jene von Schriftstellern. „Oft sind wir erster Ansprechpartner und stellen den Kontakt her”, sagt Gerd Herholz, Leiter des Literaturbüros Ruhrgebiet. Auf Landesebene tut sich derweil einiges: In der Abtei Brauweiler bei Köln entsteht derzeit ein von der NRW-Regierung und dem Landschaftsverband Rheinland gefördertes, rund 2000 Quadratmeter großes Schaumagazin für Künstlernachlässe. Kostenpunkt: rund 2,9 Mio Euro.